Mittwoch, 21. Oktober 2020
Viel Luft nach oben
Über die Vorteile von Coaching in der Führung
„Alles Reden ist sinnlos, wenn das Vertrauen fehlt.“
Franz Kafka
Kennen Sie Daniel Goleman? Den „Erfinder“ der Emotionalen Intelligenz? Ok, erfunden hat er sie nicht, aber er wurde mit seinem ersten Buch darüber weltbekannt. Und was glauben Sie, ist Emotionale Intelligenz? Eigentlich einfach - denn ursprünglich sind es drei Fähigkeiten: Zuerst gilt es, meine eigenen Gefühle wahrnehmen, erkennen und regulieren zu können. Dann sollte ich imstande sein, Gefühle in anderen zu erkennen – das nennen wir auch Empathie. Und drittens kann ich mich im besten Fall über meine eigenen und die Gefühle anderer mit diesen austauschen, mit anderen Worten „kommunizieren“.
Wie Goleman bereits vor 25 Jahren publizierte, unterstützt diese emotionale Intelligenz nicht nur jeden Menschen in der Begegnung mit anderen, sondern im Besonderen auch Führungskräfte im Führungsalltag. Ein paar Jahre später entwickelte er zusätzlich ein Führungsstil-Modell mit 6 „leadership styles“, die sich auf sein Modell der Emotionalen Intelligenz beziehen. Neben „visionärer“ Führung, der „verbindenden“ und „demokratischen“ sowie der „zielorientierten“ und „autokratischen“ Führung empfiehlt er auch die Führung durch und mit Coaching.
Nun geht es sicherlich bei der Wahl der situativ geeigneten Führungsintervention um die Frage: Wie passen Situation, die beteiligten Menschen und die Handlung zusammen? Hierbei immer vorausgesetzt, dass Menschen veränderungsfähig und ggf. -willig sind, zeichnet sich Coaching in der Führung durch einige besondere und einzigartige Merkmale aus.
Sie erinnern sich an den „klugen“ und simplen Spruch, „Wer fragt, der führt.“? Hier kann es entscheidend sein, WELCHE Frage(n) ich als Führungskraft stelle (und stellen kann). Eine scheinbar „einfache“ Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Fragen ist für viele Menschen bereits eine große Herausforderung. Haben Sie sich einmal beobachtet, was für einen Fragentyp Sie bevorzugen? Es lohnt sich, denn bereits durch die „Öffnung“ Ihrer Frage beteiligen Sie Ihr Gegenüber und geben ihm oder ihr einen Freiraum für Denken und Handeln. Eine offene Frage zeigt bereits Ihre Bereitschaft, sich Zeit für den Anderen zu nehmen. Da ich ja nicht weiß, wie ausführlich die Antwort sein wird, öffne ich mit einer offenen Frage (häufig auch als W-Fragen bezeichnet) einen nicht kalkulierbaren Raum für Gestaltung - in Form von selbstbestimmtem Denken und mit eigenständiger Entwicklung von Handlungsoptionen. Wenn der oder die Mitarbeitende dieses Angebot und die Gelegenheit nutzt, führt dies nahezu unausweichlich zur Identifikation und zu Beteiligung am (unternehmerischen) Handeln. Und was kann einen Menschen mehr motivieren als diese?
Was ist daran nun Coaching?
Was ist das Besondere? Lassen Sie mich etwas ausholen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergeht, wenn Sie einen Mitmenschen in einer herausfordernden, anstrengenden oder sogar schmerzhaften bis leidvollen Situation erleben. Sollten Sie „ausreichend“ emotional intelligent sein, werden Sie von Mitgefühl betroffen sein. Dieses, auch „Mitleid“ genannt, drängt uns, unseren Gegenüber zu unterstützen oder diesem zu „helfen“. Dass uns dieses Helfen übrigens neben seiner befriedigenden und erfüllenden Wirkung auch erschöpfen kann, zeigen uns die ständig zunehmenden Belastungserkrankungen bei Angehörigen der „helfenden“ Berufe.
Was macht Coaching hier anders?
Ausgehend davon, dass zwischen Helfendem und Geholfenem eine hierarchische und bisweilen auch abhängige Beziehung entsteht, stellt Coaching im Gegensatz hierzu die Unterstützung in den Fokus. Coach und Coachee agieren ebenso auf Augenhöhe wie Führungskraft und Mitarbeitende im New Work oder in agilen Organisationsformen. Mit der Haltung, der Problemeigner oder die Problemeignerin sind auch der oder die Problemlöser/in und entwickeln für ihre Probleme auch die passenden Lösungen, agiert der oder die Coach „lösungsabstinent“ und „prozessverantwortlich“ und so – wie bereits gesagt - unterstützend. Wenn wir uns jetzt noch einmal vergegenwärtigen, dass diese Interaktion zwischen Menschen in den Rollen Führungskraft und Mitarbeitenden geschieht, wird uns die in Haltung und Tat existierende Herausforderung sichtbar. Wie schafft es eine Führungskraft, aus diesem Führungsverständnis heraus und in dieser Haltung hilfesuchenden Mitarbeitenden gegenüber zu agieren? Hier fordert diese Führungstechnik auch ein erweitertes und möglicherweise neues Rollenverständnis von der Führungskraft, je nachdem, wie entwickelt die Persönlichkeit bereits ist und wie breit ihr Führungsinstrumentarium ausgeformt ist.
Probieren Sie es einfach mal mit einer offenen Frage:
Sammeln Sie die Antworten und schreiben Sie diese für Ihren Gegenüber auf. Unterstützen Sie durch Vorschau, Rückblick, vertiefende und erweiternde Fragen. Richten Sie Ihre ganze Aufmerksamkeit auf Ihre/n Mitarbeitdende/n.
Und noch eine „wunderbare“ offene Frage zum Abschluss des Gesprächs`: Was nehmen Sie aus unserem Gespräch mit? Und auch: „Was sind Ihre konkreten nächsten Schritte?
Übrigens: Von Vollkommenheit oder auch dem Streben danach rate ich ab. Die Situation, die Person und die Aktion benötigen bereits die Ihre ganze Aufmerksamkeit als Beteiligte/r. Wie erfreulich, befriedigend und sogar beglückend der Erfolg des oder der Hilfesuchenden sein kann, den sie oder er selbst und selbstständig erreicht haben, haben Sie ja möglicherweise bereits erleben dürfen. (Ich bekomme dann gern Gänsehaut, wenn mein Mitmensch mit meiner Unterstützung seinen „eigenen“ Groschen zum Fallen bringt.)
Hinweis: Das ist bei weitem nicht die einzig mögliche Führungsintervention, aber die mit Abstand befriedigendste und im Sinne der Förderung von Selbstkompetenz, Selbstbefähigung und Selbstbestimmung voraussichtlich erfolgreichste. Um diese Erfolge zu erreichen, benötigen wir Arbeit und Aufwand, Wissen, Können und Erfahrung, denn Vertrauen (in die Lösungsfähigkeit meines Gegenübers – sei es Partner/in, Mitarbeitende oder Kollege/in) ist auch in der Führung die Minimalvoraussetzung für diese Haltung.
Aber dazu (Vertrauen) mehr im nächsten Blogbeitrag.
Übrigens 2. Dass uns angemessene und nicht selbstvergessende Empathie bei der Selbstregulation und in unserer Resilienz als Führungskraft fördert und so gesund erhält, ist ein oft nicht wahrgenommener aber willkommener Nebeneffekt.
(Autor: Miike Keppler 17.10.2020)
Donnerstag, 15. November 2018
Über die Ehrlichkeit (...in der Beratung und im Coaching)
In der ersten Sitzung erkläre ich meinem Klienten, was Coaching ist und dass es nicht dazu dient, verborgene und geheimnisvolle Wahrheiten über ihn zu entdecken. Allerdings braucht er in diesem Prozess Ehrlichkeit, was möglicherweise für ihn bedeuten kann, dass er Ehrlichkeit zu sich selbst und zum Coach lernen muss.
Diese Ehrlichkeit kann ihm Kraft und Selbstvertrauen geben.
Ehrlichkeit heißt hier, die Fülle meiner momentanen inneren Erfahrung offen gegenüber einer anderen Person auszudrücken - wobei ich meine typischen psychischen Verteidigungen bei Seite stelle. Zuerst aber muss ich, um das tun zu können, den emotionalen Schmerz, der diese Verteidigungen und Schutzmechanismen verursacht und oft aus Begegnungen und Erfahrungen meiner Kindheit stammt, bewältigen.
Diese Art von Schmerz, den ich als Erwachsener in der Begegnung mit anderen erlebe, ist ebenso Ergebnis und Bestandteil der Beziehung zwischen mir und dem Coach. Hier werde ich mit meinem Schmerz konfrontiert, ohne dass ich vor ihm davon laufe, So kann ich ihn bearbeiten, umwandeln und heilen.
Ein Grund, warum ich meine innere Welt nicht betreten möchte, ist die Angst vor dem, was ich dort finde: Ich weiß oder vermute, das tief in mir Gefühle und Erinnerungen sind, die mich überwältigen können. Die meine „Funktionen“ behindern, die mich zum impulshaften Handeln provozieren, die mich anderen gegenüber verletzlich machen.
Wenn ich Erfahrungen mit dem Gefühl von Wertlosigkeit gemacht habe oder Verluste oder Traumata erlitten habe, versuche ich, durch Ablenkung oder Beschäftigung diese Gefühle daran zu hindern, an die Oberfläche zu kommen, wahrnehmbar, spürbar zu werden.
Ich bemühe mich, nicht in die Nähe dieser Erinnerungen oder Gefühle zu geraten, indem
- ich mein Verhalten und Aussehen anpasse
- ich meine wertvollen Seiten zeige
- ich die Nähe in Beziehungen kontrolliere
- ich alles tue, um emotionale Zustimmung zu erfahren.
Wieso lügen wir?
Viele Klienten kommen in eine Beratung und stellen sich selbst im besten Licht dar. Sie haben einige Teile ihres Innenlebens als „dunkles“ Geheimnis verpackt und versuchen bewusst oder unbewusst diese Wirklichkeit vor dem Coach zu verbergen.
Es ist nicht oder nur schwer vorstellbar für sie, über ihre Erinnerungen und Fantasien zu sprechen. Sie kommen nicht darauf, dass es sinnvoll ist, über ihre emotionalen Reaktionen gegenüber Coach oder Prozess zu sprechen.
Wir alle haben Erfahrung mit Leugnung in der Familie, die von Alkoholproblemen, Gewalt oder Missbrauch erzeugt wird. Auch in Familiensystemen mit geringen Störungen kann der Vorgang des „Geheimnisse Bewahren“ - vor anderen und vor mir - Stress oder Krankheit erzeugen.
Die Leugnung dieser Erfahrung wirkt auch in berufliche Zusammenhänge hinein. Viele Klienten machen die Erfahrung, dass ihnen auch von Ärzten, Beratern und Helfern nicht die Wahrheit „zugemutet“ wird, sie sogar belogen werden - manchmal weil die Genannten Angst vor der Wahrheit haben. Es gilt, Unwahrhaftigkeit zu erkennen und sie, wenn sie erkennbar wird, auch zu benennen.
Lügen wir wirklich alle?
Der amerikanische Psychotherapeut und Coach Raymond Richmond berichtet von einem Erlebnis als Gutachter bei einem Gerichtsprozess. „Ich wurde von dem Rechtsanwalt, der wusste, dass ich Coach bin, nach der „schwarzen Kiste“ in unserem Geist gefragt. Ich erklärte ihm meine Sicht des Unbewussten: Weil wir alle von unbewussten Wünschen angetrieben werden, sagt eigentlich niemand die Wahrheit - nicht einmal im rechtlichen Sinn. Nicht einmal der Aussage eines Polizisten kann ich trauen, denn auch Polizisten lügen, um sich zu schützen. Auch dem Staatsanwalt sagte ich ins Gesicht, dass er lügen würde, um seine Karriere zu fördern. Sogar dem anwesenden Richter unterstellte ich, dass er lügen würde, um seine Interessen zu verfolgen. Die Rückfrage, ob auch ich lügen würde, bejahte ich. Als Gutachter und Zeuge erschien ich den Anwesenden nun eindeutig unbrauchbar.“
Wir lügen alle und suchen Entschuldigungen. Auch oder besonders im politischem Geschäft oder in der Wirtschaft ist Wahrheit das, was wir im Moment dafür halten.
Wenn ich zu jemanden sage, dass er ein Lügner ist, gibt es zwei mögliche Antworten. „Ja, ich weiß.“ ist die Eine. Im Bewusstsein des Ausmaßes seiner unbewussten Motive hat dieser Mensch die heilende Möglichkeit ergriffen, sein Selbst von Stolz zu befreien und mit Ehrlichkeit und Wahrheit das soziale Spiel zu überwinden. Menschen, die psychologisch unbewandert sind und ihre Verteidigungsmechanismen nicht wahr nehmen, werden wütend antworten: „Was fällt Ihnen ein? Wie können Sie es wagen ...? Nehmen Sie das sofort zurück, oder ...!“ Traurig daran ist, dass Menschen dadurch, dass sie ihre Lügen leugnen, noch mehr zu Lügnern und Heuchlern werden.
Was ist Lügen?
Wenn ich eine Lüge erzähle, begehe ich eine freiwillige bewusste Handlung, um jemanden ein falsches Bild zu zeichnen, um zu vermeiden und zu betrügen. Dieser Vorgang ist - im psychologischen Sinn - ein Akt der Aggression.
Diese Aggression lässt sich auf zwei aufeinander bezogene unbewusste Motive zurück führen, von denen eines sich auf Nicht-Wissen und das andere auf Wissen bezieht. Das erste Motiv ist der Wunsch, einen Fehler zu verbergen. Wenn andere, besonders meine Eltern, es nicht schaffen, mich weise und mitfühlend darin zu lehren, wie die Welt mechanisch und emotional funktioniert, entwickle ich leicht ein Gefühl der Ungleichheit oder Minderwertigkeit. Beschämt von meinem Nicht-Wissen will ich versuchen, diesen Schmerz zu verbergen.
Das zweite Motiv ist eine Antwort darauf, dass sich jemand mir gegenüber falsch verhalten hat. Habe ich meine Eltern belogen? Dann weiß ich tief in meinem Herzen, dass sie mir nicht die familiäre Sicherheit geben wollten oder konnten, die ich brauchte. Habe ich meinen Lehrer oder Vorgesetzten belogen? Dann weiß ich, dass diese mir nicht die Unterstützung oder Anerkennung gaben, die ich mir wünschte. Habe ich meinen Freunden Lügen erzählt? Dann weiß ich, dass sie mir nicht geben wollten oder konnten, was ich wollte, Zuneigung, Mitgefühl oder etwas anderes.
All dieses wissend werde ich Befriedigung wollen - irgendwie. Daher werden meine Lügen scharfe Waffen der Vergeltung in einem psychologischen Krieg, um denen Schmerz zu bereiten, die mich verletzten. Das passiert, wenn ich kritisiert werde, verletzt, beschämt oder beängstigt. So verbreite ich als eine wütende Antwort auf die Verletzung Lügen, die ich in vorgetäuschter Unverletzbarkeit aus schmerzvollem Scham von mir gebe, um dem Anderen Wunden zuzufügen.
Wieso wollen wir ehrlich sein?
Auch ein pathologischer Lügner trägt tief in seinem Herzen den Wunsch, gut und ehrlich zu sein. Wegen seiner schmerzhaften emotionalen Wunden „weiß“ er, dass die Welt niemals seinen Schmerz gesehen hat oder sehen wird. Er nutzt alle Lügen, die er in die Welt setzt, um diesen Schmerz vor sich selbst zu verbergen - aus Angst vor seiner Güte (Tugend). Trauriger weise verletzen seine Lügen ihn ebenso, wie sie andere verletzten.
Die einzige Lösung für alle diese Lügen ist die Konfrontation mit dem bitteren Schmerz, mit dem Gefühl des Missverstanden- und Nicht-Richtig-Seins.
Es geht darum, diesen Schmerz zurück zu seinen Wurzeln zu verfolgen und ehrlich zu erkennen, wofür er steht. Es gilt zu verstehen, wie ich missachtet oder abgelehnt wurde, zu verstehen, wie sehr ich mich fürchtete und noch fürchte, „nicht zu wissen“ und allein zu sein; zu verstehen, wie ich mich schäme für mein Nicht-Wissen; zu verstehen, wie der Ärger in meinem Unbewussten köchelt; zu verstehen, wie ich mich selbst verletzt habe, in dem Bemühen, anderen ihre Wünsche zu erfüllen.
„Die Wahrheit ist bitter und sie kann furchtbar sein. Aber wenn ich ihr ehrlich und ohne Schutz begegne, werde ich einen Mut entdecken, den ich in keiner anderen Schlacht lernen kann.“ (R. Richmond)
(Autor Miike Keppler 16.08.2018)
Donnerstag, 23. August 2018
Erkenntnis
"Wissen ist wahre, begründete Meinung."(Platon)
Meine Frau, eine kompetente und erfahrene Psychotherapeutin, hat gerade (in der Zeit, in der ich dies hier schreibe) mit einer Klientin eine besondere Situation erlebt. Während einer Sitzung hat sie bei der Klientin das Gefühl „Wut“ wahrgenommen, konstatiert und angesprochen. Das Besondere besteht nun darin, dass die Klientin dieses Gefühl leugnet und ihr als Therapeutin wegen der „Missdeutung“ das Vertrauen entzieht.
Was geht hier vor? Tatsache ist, dass das Gefühl – sei es meines oder das eines/r Anderen von mir zuerst körperlich empfunden wird, bevor ich es mental (oder intellektuell) „begreife“ oder denken kann. (Propriozeption)
Ich kann den/die Andere/n deuten, weil ich „ihn/sie“ empfinde, körperlich, und damit energetisch, spüre – selbstverständlich ohne Berührung. Muss ich diese Wahrnehmung oder Empfindung dem Anderen gegenüber äußern, muss ich diese Wahrnehmung oder Empfindung überprüfen?
Diese Situation erlebe ich als „gemeinsam“. Wenn ich etwas fühle, fühlt es auch mein Gegenüber. Allerdings wird die „Äußerung“ des Gefühls, das Angesprochen-Werden häufig als Eindringen empfunden, als trennend und als Darstellung oder Veröffentlichung einer von mir (als Gefühls-eigner) geleugneten Wahrheit.
Wann glaube ich mir selbst als Fühlender, als Wahrnehmender, als Äußernder? Wann bin ich mir meiner Empfindungen, meiner „Wahr“nehmung sicher, halte sie für wahr oder wahrhaftig? Wie nenne ich diesen Zustand des Selbst-Vertrauens? Wie komme ich in diesen Zustand?
Erkenntnistheorie oder Kognitionswissenschaften und Epistemologie sind Teildisziplinen der Philosophie, die sich mit der Frage befassen, was das Wesen, das Zustandekommen, die Bedingungen, Grenzen und Prinzipien von Erkenntnis sind. Die Frage nach der Sicherheit von Erkenntnis ist hier die Kernfrage.
So befasst sich die Logik, die Erkenntnis als Bestandteil folgerichtigen Denkens voraussetzt, mit den logischen Beziehungen von Glauben, Annahme oder Wissen. Die Dialektik gleicht Annahmen und Behauptungen in Form von These und Antithese gegeneinander ab und formuliert oder entwickelt daraus eine Synthese. Der Erkenntnisgewinnung und der Überprüfung dieser Erkenntnisse dienen Beobachtungen und Experimente, bei denen ggf. mit Versuch und Irrtum zu rechnen ist. Benutzte Instrumente sind Aufzeichnung, Dokumentation, Messung, Vergleich, Befragung, Interview und Ausschlussverfahren, alles Techniken, die uns im Coaching vertraut sind.
Erkenntnis unterscheidet sich deutlich von ähnlichen Begriffen wie Erfahrung, Einsicht, Überzeugung, Meinung, Glauben und noch mehr von Ahnung, Vermutung, Spekulation oder Vorurteil und Irrtum. Die Unterschiede bestehen aus Wahrheitsgrad und Begrenzungen. Um den Begriff der Erkenntnis zu erklären, reicht auch der Begriff des Wissens allein nicht aus. So beinhaltet Erkenntnis ebenso die Einsicht in die Bedeutung eines Sachverhalts. Das kann eine für eine Problemlösung wichtige Information sein. Allerdings sind Erkennt-nisse immer wahre Erkenntnisse, denn Erkenntnis ist, ähnlich wie Wissen, mit dem Anspruch der Richtigkeit verbunden. Hierbei ist der Grad der Begründung nicht zwingend wie beim Wissen an logische Wahrheit und an einen (intersubjektiven) Nachweis gebunden. Im Erkannten habe ich noch den subjektiven Entstehungsprozess des Wissens vor Augen, auch wenn dieser abgeschlossen ist. Erkenntnis muss nicht intersubjektiv nachprüfbar sein, Wissen schon. Erkenntnis beinhaltet das Verstehen von Zusammenhängen und kann sich auch auf Alltagserfahrung beziehen, sogar Gefühle können als Erkenntnisquelle angesehen werden. Mit steigender Komplexität braucht auch die Naturwissenschaft ein intuitives, verstehendes Erkennen der Zusammenhänge, besonders seitdem in der Physik Gegenstände theoretisch betrachtet werden, die eigentlich nicht beobachtbar sind.
Warum ist nun die im obigen Beispiel genannte Klientin nicht fähig, ihre Wut zu spüren? Ihr persönliches Interesse scheint so stark an die Situation gebunden zu sein, dass sie die Fähigkeit verliert zu reflektieren. Durch die Erkenntnis der eigenen Emotion würde sie eine Veränderung herbei führen, die den aktuellen Zustand, der - wenn auch schmerzhaft - vertraut ist, beendet. Da ihr der Nutzen dieser Veränderung der Situation nicht bekannt ist, hält sie am Vertrauten fest.
"Wenn wir ärgerlich auf unseren Ärger werden,
haben wir am Ende doppelten Ärger." Thich Nhat Hanh
Erkenntnis kann die Klientin unterstützen. Sie nimmt ihre inneren Zustände und Gefühle wahr und erkennt innere und äußere Zusammenhänge ihres Anliegens. Sie spürt und benennt ihre emotionale Verstrickung und sieht und entwickelt ab dem Moment des Erkennens Möglichkeiten der Veränderung und Alternativen zu ihrer aktuellen Herangehensweise.
Als Coach stelle ich ihr meine Erkenntnisse – wenn gewollt oder gewünscht - zur Verfügung. Die Wahrnehmungen, die ich im Zustand der Achtsamkeit habe, biete ich ihr mit ihrem Einverständnis als Projektion, als Bild an, das sie zur Deutung nutzen kann. Durch den Abgleich meiner geäußerten Wahrnehmung – des Gehörten und Gefühlten mit ihrer Wirklichkeit und den in dieser enthaltenen Empfindungen „erkennt“ sie ihre „Wahrheit“, ihren Zustand.
Wichtig ist hierbei die Wertfreiheit meiner Äußerungen. Meine Bewertung verfälscht oder färbt ihre Erkenntnis. Ihr obliegt die Feststellung von Richtigkeit und persönlicher Wahrheit des Gesagten durch Abgleich mit dem von ihr persönlich Empfundenen. Nach dem Erkennen der Richtigkeit oder Falschheit des Gesagten kann sie ihre Erkenntnis für sich als bewiesen ansehen und zum Wissen wandeln. Sollte der Coach mit seiner Deutung irren, wird sie – wenn diese wertfrei war – als Reaktion eine eigene Deutung anbieten. In immer neuen Schritten – großen oder kleinen – wiederholt sich dieser Prozess: Coach nimmt wahr, erkennt und äußert – Klientin überprüft, erkennt, verinnerlicht und verarbeitet das Gesagte. Sie trifft ihre eigenen Entscheidungen und entwickelt hieraus andere, neue Überlegungen und Schritte. Verbunden mit der Vertiefung der vorherrschenden Gefühle, deren Erkennen und Bearbeitung kann sie neue, positive Gefühle entwickeln und als Grundlage von Entscheidungen und zur Entwicklung von Strategien nutzen.
Es hilft uns, eine Beziehung zu einem Gedanken oder Gefühl aufzubauen. Der Wunsch, erfolgreich zu sein, kann ein wunderbarer Diener aber auch ein schrecklicher Herr sein. Zu verschiedenen inneren Stimmen, Gedankenmustern und Gefühlen haben wir lange Beziehungen, manchmal wie zu Personen. Oft sind es unsere inneren Dialoge, die wir für „Denken“ halten.
Wir haben Angst, von unseren Gefühlen überwältigt zu werden und versuchen, sie in uns zu verschließen. Manchmal werden wir auch ungeduldig: „Warum fühle ich mich immer noch so, nach all der langen Zeit? Ich dachte, ich hätte das alles verarbeitet.“
Wir verbannen das Gefühl in uns in einen unzugänglichen Winkel, aber es kommt immer wieder zurück und überrascht uns, wenn wir es nicht erwarten.
Im Streit oder in Auseinandersetzungen weigern wir uns nachzugeben; wir sagen schreckliche Dinge oder lügen. Dann fragen wir uns: Was war das, das da die Führung übernommen hat? Das waren nicht wir. Während des Streits fühlten wir uns so verwundbar, dass wir uns schützen wollten. Wir taten all dies, weil wir glaubten, uns nicht wehren zu können. So wird die Wut, die wir sonst nicht kennen möchten, zum Leibwächter, den wir jetzt gern bei uns haben und der uns vermeintlich Sicherheit gibt.
Wir können uns verändern, wenn wir die Betrachtung unserer Gedanken und Gefühle ändern. So lösen wir nicht nur unsere inneren Probleme, wir werden auch innerlich ruhiger. Wir entwickeln Selbstakzeptanz und kommen mit anderen Menschen besser zurecht, weil wir auch akzeptieren, wie sie sind. Wir haben uns verändert und uns von Ärger, Angst, Wut und Trotz entfernt, ohne diese Gefühle zu ignorieren, zu verschließen oder los zu werden, ohne ihnen gegenüber nachzugeben oder von ihnen überwältigt zu werden.
Durch unsere Neugier und Bereitschaft, unsere Gedanken und Gefühle zu hören, wahrzunehmen und zu erkennen, entwickeln wir Mitgefühl und Verständnis für diese und ihre Versuche, zu helfen und uns vermeintlich zu schützen.
(Autor: Miike Keppler 23.08.2018)
Donnerstag, 15. März 2018
Work Life Balance im Coaching
Vor einigen Wochen bekamen wir den Auftrag, für einen japanischen IT-Hardware-Hersteller 4 Gesundheits-Tage zu gestalten. Die Inhalte waren
Jeder Tag verlief anders, hatte ein anderes Publikum und erntete unterschiedliche Reaktionen. Aus dem Programm möchte ich hier einmal das Thema Work-Life-Balance aufgreifen, beleuchten und in Bezug zu Coaching bringen.
Wir können dem Leben nicht mehr Tage geben,
aber den Tagen mehr Leben.
Ich möchte mit einer Klärung der Begriffe beginnen, dann die 5 Säulen der Lebensenergie betrachten und mit einer Handreichung mit Fragen zu einem Work-Life-Balance-Coaching enden. Als kleinen Appetizer hänge ich noch eine Übersicht mit möglichen Maßnahmen für Unternehmen an.
Der Begriff Work (=Arbeit)
Was man unter Arbeit versteht und welche Rolle sie im Leben des Menschen spielt, ist ein Urthema. Zwar können sich alle unter »Arbeit« etwas vorstellen, eine genaue Definition, welche Kriterien Arbeit kennzeichnen, fällt schwer. Die Bandbreite von Einsatzmöglichkeiten des Begriffs verdeutlicht dies: Erwerbsarbeit, Hausarbeit, Bildungsarbeit, Erziehungsarbeit und Trauerarbeit, aber auch Projektarbeit, Teamarbeit o.Ä. - um nur einige zu nennen. Im Gegensatz zu diesem breit gefächerten Verständnis von Arbeit steht die traditionelle Meinung, dass Arbeit vor allem eine körperlich anstrengende Tätigkeit ist, durch die der Mensch seinen Lebensunterhalt sichert. Übrigens galten geistige Tätigkeiten in diesem Sinn lange Zeit nicht als Arbeit.
Der Sozialexperte Bert Rürup beschreibt Arbeit so:
»Arbeit ist die Summe aller körperlichen und geistigen Tätigkeiten des Menschen zur Herstellung von knappen, das heißt begehrten Gütern und Dienstleistungen.
Von Erwerbsarbeit sollte man dann sprechen, wenn diese Tätigkeit gegen Entgelt stattfindet.«
Neben der ökonomischen hat Arbeit noch zwei weitere Funktionen: eine soziologische (»Normierung von Arbeitsaktivitäten«) und eine anthropologische (»Arbeit als Naturbedingung des Lebens«). So definiert sich der Mensch häufig selbst und von anderen über seine Arbeit.
Im (industrie)soziologischen Bereich wird die Arbeitswelt als eine Kunstwelt betrachtet, in der das »wirkliche« Leben ausgeschlossen wird, das heißt, die Arbeitswelt bezieht sich nur auf die Sachverhalte und Belange des Berufs oder der beruflichen Position, die ein Individuum innehat. Sachverhalte des privaten Alltags und damit der Lebenswelt werden eher als störend und als Kostenfaktor empfunden, wie beispielsweise der Krankenstand oder der Ausfall von Mitarbeiterinnen, die in den Mutterschutz gehen.
Für unsere Gesellschaft können wir feststellen: Arbeit als Broterwerb allein genügt uns nicht mehr. Der Wunsch vieler Menschen nach einer Arbeit, mit der sie sich identifizieren können, die ihnen Sinn schenkt, zeigt, dass Arbeit wesentlicher Bestandteil unseres Lebens ist. Die zunehmende Freizeitorientierung bedeutet nicht abnehmende Arbeitsorientierung, denn wir können uns ein Leben ohne Arbeit kaum oder gar nicht vorstellen.
Die Arbeitswelt oder der berufliche Bereich, den ich hier als „Work“ betrachte, beschreibt alle Tätigkeiten, Rahmenbedingungen, Rollen, Funktionen und strukturellen Gegebenheiten, die in Beziehung zur Arbeit, zum Beruf und zu allem, was damit in Verbindung gebracht wird, gesetzt werden können. Und innerhalb der Arbeitswelt steht als Struktur das Unternehmen im Mittelpunkt, in dem wir als Individuen arbeiten.
Arbeitswelt lässt sich durch drei Parametern beschreiben:
Der Begriff Life (= Leben)
Den Begriff Life kann ich mit Lebenswelt übersetzen. Diese ist alles Erlebte, Erfahrbare und Erlittene des Alltags. Alles, was in diesem Sinne wahrgenommen und verarbeitet wird, stellt für mich meine subjektive Wahrheit und damit die Realität beziehungsweise meinen Wirklichkeitsbereich dar. Nach Habermas wird die Gesellschaft als System, das heißt als Lebenswelt systemischer Art verstanden. Hier existieren Handlungs- und Deutungsmuster, die kulturell und gesellschaftlich die Normen und Wertebasis dieses Systems sind.
Der Begriff der Lebenswelt ist im Kontext von Work-Life-Balance das Gegenstück zur Arbeitswelt. Lebenswelt ist allerdings sowohl die Arbeit, die im privaten Bereich anfällt, wie beispielsweise Hausarbeiten, als auch die Freizeit. Generell wird Freizeit als Zeit bestimmt, die mir zur freien Verfügung steht und nach meinem Ermessen und die ich gemäß meinen Bedürfnissen ausfülle und gestalte. Im Zusammenhang mit Work-Life-Balance und dem Begriff der Zeit sehen wir das Berufsleben als die Hauptzeit im Lebensalltag und verstehen Freizeit daher als eine innerhalb der Lebenswelt bestehende »Restkategorie«. Freizeit, die unabhängig von ökonomischen, physiologischen und/oder familiären Pflichten frei verfügbar ist, erleben wir dann als „freie“ Zeit, wenn wir sie mit frei gewählten Aktivitäten ausfüllen können, die einen sozialen Sinn erlangen. Lebenswelt oder »Life« umschließt somit alle Bereiche, Personen, Handlungen und Erfahrungen, die außerhalb des Berufslebens oder der Arbeitswelt existieren.
Der Begriff Balance
Balance, Ausgeglichenheit oder Gleichgewicht steht für die objektive und subjektive Zeit- und Prioritätenverteilung. Wir erleben die Rahmenbedingungen Balance häufig als von außen, der Gesellschaft oder vom Unternehmen vorgegeben. Balance kann sich sowohl auf tatsächliche Zeitverteilung als auch auf meine subjektiven Präferenzen beziehen, sowohl kurzfristig, das Zeitmanagement eines Tages betreffende, als auch längerfristig als Zeitperspektive. Zeitmanagement verändert sich für mich auch je nach meiner aktuellen Lebensphase. Der Begriff der Balance nutzt das Bild der Waage, wobei es gilt, die Lebenssphären ausgeglichen beziehungsweise ausbalanciert zu halten und eine subjektive Ausgewogenheit herzustellen. Die Gegenüberstellung von Work und Life kann problematisch sein, da damit suggeriert wird, dass das eigentliche Leben, in ich Sinnerfüllung und Selbstverwirklichung suche, nur außerhalb der (Erwerbs-) Arbeit stattfinden kann. Hier bleibt der Wert der unbezahlten Arbeit in Haushalt und Familie sowie ehrenamtlicher Tätigkeiten unklar. Nebenbei: Eine genaue Betrachtung dieser Unklarheit könnte zu einer vollkommenen Neubewertung von gesellschaftlicher Leistung führen.
Definition von Work-Life-Balance
Übersetzt man die einzelnen Wörter des englischen Fachterminus Work-Life-Balance in die deutsche Sprache, so bedeuten diese Arbeit, Leben, Ausgeglichenheit. Allgemein verstehen wir hierunter den Ausgleich von Beruf und Privatleben und damit die Vereinbarkeit oder die Spannung zwischen diesen beiden Bereichen. Eine Balance beider Lebensbereiche ist für mich wichtig, um dauerhaft (möglichst) gesund und mit mir und meiner Umwelt im Einklang zu sein und einen Sinngehalt in meinem Leben erkennen zu können. Ohne Ausgewogenheit wird der Mensch auf Dauer psychisch und physisch krank.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend definiert in einer Studie Work-Life-Balance folgendermaßen:
»Work-Life-Balance bedeutet eine neue, intelligente Verzahnung von Arbeits- und Privatleben vor dem Hintergrund einer veränderten und sich dynamisch verändernden Arbeits- und Lebenswelt. Betriebliche Work-Life-Balance-Maßnahmen zielen darauf, erfolgreiche Berufsbiografien unter Rücksichtnahme auf private, soziale, kulturelle und gesundheitliche Erfordernisse zu ermöglichen.«
Etwas anders formuliert der Gewerkschafter Hubertus Schmoldt die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben:
»Wenn Menschen eine Balance zwischen dem Arbeitsleben und dem Leben außerhalb der Arbeitswelt anstreben, sei es in der Familie, in einer partnerschaftlichen Beziehung oder für politisches, soziales oder kulturelles Engagement, so geht es ihnen um ein sinnvolles Leben, das nicht allein durch die Arbeit erfüllt wird.«
Arbeit ist also ein wichtiger, sinnerfüllender Lebensbereich, der Anerkennung vermittelt und den Lebensunterhalt sichert. Seiner Meinung nach kann eine Balance zwischen Beruf und Leben ebenso sinnerfüllend sein.
Systemisch bedeutet Balance, dass der Mensch nicht losgelöst und isoliert von Strukturen in der Gesellschaft lebt, sondern in einem System, das aus unterschiedlichen Teilen und Untersystemen besteht, die alle eine bestimmte Struktur und Funktion zu erfüllen haben und sich in einer Ursache-Wirkung-Kette befinden. Ich als Individuum lebe hier verschiedene Rollen und Funktionen, um für mich eine Balance und einen Lebenssinn herzustellen. Unter dieser ganzheitlichen und systemischen Perspektive betrachten wir Work-Life-Balance. Ich lebe in Balance, wenn ich nicht zwischen der Lebens- und Arbeitswelt im Konflikt lebe, sondern im Einklang. Es geht für mich darum, ein Gleichgewicht zu finden und meine unterschiedlichen Interessen und Ansprüche in der Arbeits- und der privaten Situation zu vereinen.
Übrigens: Aus Sicht der Gesellschaft werden Work-Life-Balance-Maßnahmen und -Konzepte durch gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen und die damit einhergehende Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Situation bestimmt.
Wichtige Einflussfaktoren sind hierbei z.B.:
Gründe für den Einsatz von Work-Life-Balance-Maßnahmen in Unternehmen sind:
Das Grundbedürfnis des Menschen nach Sicherheit, Gesundheit, Wertschätzung, sozialen Beziehungen und Selbstverwirklichung hat einen hohen Stellenwert. Zielsetzungen von betrieblichen Work-Life-Balance-Maßnahmen sollen somit Selbstverwirklichung, Chancengleichheit, Gesundheit, Zeitmanagement und Familienfreundlichkeit als ganzheitliches Konzept in sich vereinen.
Das Work-Life-Balance Konzept geht noch weiter und sich spreche hier von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen den fünf Lebensbereichen Job, Beziehungen, Gesundheit, Sicherheit und Sinn.
Die fünf Säulen des Gleichgewichts
Jeder Mensch kann eine gesunde Lebensweise entwickeln. Wichtig ist es, mir zu verdeutlichen, dass ich eine körperliche und geistige Gesundheit nur durch ein Gleichgewicht in den fünf Lebensbereichen Körper/Gesundheit, Kontakt/ Beziehungen, Arbeit/Leistung, Materielle Sicherheit und Sinn/Kultur/Werte erreichen kann.
Die fünf Elemente sind Teil des Modells der Energieverteilung. Als Coach gehe ich davon aus, dass ich als Mensch grundsätzlich über Fähigkeiten und Potenziale verfüge, die es mir ermöglichen, ein Problem allein in den Griff zu bekommen und zu lösen. Wichtig ist, dass ich Vertrauen in meine Selbsthilfefähigkeiten (wieder-) gewinne, wenn ich feststelle, dass mein Leben aus der Balance geraten ist. Um eine mögliche Unausgewogenheit erkennen zu können, gilt es zunächst festzustellen, in welche Lebensbereiche meine eigenen Energien fließen, d.h. welche über- oder unterbetont werden.
In welchen Lebensbereich die meisten Energien fließen und welcher dagegen zu kurz kommt, kann ich für mich selbst herausfinden, indem ich mein Balance-Modell aufzeichne und dabei den einzelnen Bereichen Prozentzahlen zuordnen.
Bei einer subjektiven Bestandsaufnahme kann ich gut feststellen, ob ich z.B. die Beziehungen vernachlässige. Ich schreibe mir auf, wie mein Modell, meine Verteilung in einem Jahr aussehen soll, d.h. welche Lebensbereiche ich künftig bewusster betonen will. So kann ich für mich selbst Ziele entwickeln.
Im Anschluss daran kann ich für die Erreichung Strategien und „nächste Schritte“ entwickeln – je genauer, desto besser. Hierzu gehört auch die zeitliche Festlegung. Was von dem Genannten will ich bis wann erreicht haben?
Im Work-Life-Balance-Coaching kann der Coach dem Klienten helfen, sich folgende Fragen zu stellen:
Um die persönliche Work-Life-Balance wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten, gilt es herauszufinden, worauf es in meinem Leben ankommt, welche Wünsche, Motive und Bedürfnisse mich antreiben. Wenn der Coachee alle Lebensbereiche berücksichtiget, kann er für sich entscheiden, welche Bedeutung jeder der Bereiche für sein Glück und seine Zufriedenheit hat, und ihm in seiner Zeitplanung die entsprechende Priorität einräumen. Hier zählt nicht nur Quantität, sondern auch die Qualität, erfüllte statt gefüllte Zeit. Eine Stunde intensives Spielen mit den Kindern wiegt mehr als ein ganzer Nachmittag körperliche Anwesenheit, während Sie mit Ihren Gedanken im Büro sind.
Der Druck, immer mehr leisten zu müssen, kommt nicht immer nur von außen. Wir haben oft den unbewussten Drang, immer noch mehr zu wollen, weil unser Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen von dem Erbringen einer Leistung oder der Anerkennung durch andere abhängig ist. Wichtig ist hier, die Ursachen für den „Drang nach oben“, der häufig zu Stresssituationen führt, zu ergründen. Ein Weg ins Unterbewusstsein führt über Fragen, die der Coach stellen kann:
So könnte mir z.B. bewusst werden, dass mein Selbstwertgefühl von einer erbrachten Leistung abhängt, weil ich in meiner Kindheit die elterliche Liebe an meine Leistung (z.B. Schulnoten) gekoppelt erlebt habe.
Der Coach kann für den Coachee ansprechen, welche positiven Effekte (z.B. beruflicher Erfolg) und negativen Effekte (z.B. Vernachlässigung des Partners) die Leistungsorientierung für sein Leben gebracht haben und wie er es künftig positiver gestalten kann. Entscheidend ist, zu erkennen, dass ich mich bewusst entscheiden kann, nicht weiterzugehen – oft gegen den Widerstand der Umwelt nach dem Motto: „Du kannst doch die Beförderung nicht ablehnen!“
Die Entscheidung, eine neue oder zusätzliche Tätigkeit, eine Beförderung oder ein Projekt anzunehmen oder nicht, fällt dem Coachee möglicherweise leicht, wenn er zunächst für sich herausfindet, was ihm im Leben wirklich wichtig ist und woraus er Kraft und Zufriedenheit schöpft. Es geht zunächst darum, eigene Zufriedenheitsmomente aufzuspüren.
Um aus dem Zwiespalt herauszukommen, mich für oder gegen eine Herausforderung oder den nächsten Karriereschritt zu entscheiden, ist es sinnvoll, in mich hineinzuhören und ein Problem innerlich mit mir selbst zu diskutieren und meine inneren Stimmen wahrzunehmen, die einen unterschiedlichen Standpunkt vertreten. Hier eignet sich die Methode des Inneren Teams besonders gut.
Den Fokus auf das Privatleben lenken
Wenn ich mich in dem Konflikt zwischen Karriere und Familie erlebe, erkenne ich vielleicht, dass mein Leben einseitig ist. Vielleicht habe ich mich einseitig auf Kosten meiner Familie und Freunde auf die Karriere konzentriert und fühle mich jetzt isoliert und ausgebrannt. Erst wenn gesundheitliche Probleme auftreten, erlebe ich eine Sinnkrise und bin bereit zu einem Wertewandel.
Symptome, die darauf hinweisen, dass ich mein bisheriges Leben nur dem Job gewidmet habe, sind auf meine einseitige Lebensweise zurückzuführen und drücken sich häufig in psychosomatischen Störungen, Herz- oder Magenbeschwerden aus.
Auch meine Familie oder meine Freunde können mich darin unterstützen, dass bestimmte Aktivitäten nicht auf der Strecke bleiben: In Form einer Konferenz kann ich mich mit den Familienmitgliedern beispielsweise am Ende der Woche zusammensetzen und Revue passieren lassen, was in der vergangenen Woche zu kurz gekommen ist. Im nächsten Schritt können wir dann gemeinsam festlegen, welchen Bereich wir in der folgenden Woche betonen wollen, etwa den der Beziehungen durch einen gemeinsamen Familienausflug. Nicht nur Beziehungen, sondern auch das Kulturelle wird häufig vernachlässigt. Dieser Bereich schafft aber eine wichtige Voraussetzung für ein ausgewogenes Leben. Es geht ja zunächst nicht darum, weniger zu arbeiten, sondern vielmehr darum, mir klar zu machen, dass kulturelle, geistige Anregungen einen wichtigen Ausgleich schaffen und auch meine Leistungsfähigkeit im Beruf steigern können. Wie ich die fünf Bereiche so miteinander verbinde, dass ich mich wohler fühle und zufriedener bin, muss ich selbst für mich herausfinden. Ein Patentrezept dafür gibt es nicht. Wichtig ist, das Leben grundsätzlich zu überdenken und ggf. die Prioritäten neu zu setzen.
Erfolg ist nicht nur an Leistung gekoppelt
Prioritäten im Leben zu setzen kann mir schwer fallen. Das liegt nicht nur daran, dass sich Prioritäten quasi wie von allein ergeben, indem sich auf meinem Schreibtisch die Stapel türmen, indem ich ständig von Kollegen oder Vorgesetzten beansprucht werde oder ich kein wichtiges Meeting verpassen will. Ich kann einfach ein Problem damit haben, Aufgaben abzugeben und anderen zu vertrauen, dass sie diese Aufgabe genauso gut lösen können. Zurückzuführen ist das Problem, nicht abgeben bzw. nicht delegieren zu können, häufig auf ein unbewusstes Kontrollbedürfnis (hoher Wert: Verantwortung) und einen ungesunden Perfektionismus (hoher Wert: Genauigkeit) nach dem Motto: „Lieber mache ich es selbst, bevor es in die Hose geht“. Doch gerade das Problem, nicht abgeben zu können, löst bei mir dann Stress aus.
Um so wichtiger ist es für mich, zu erkennen, dass Erfolg und Bestätigung nicht nur an die Leistung im Beruf, erst recht nicht nur an meine persönlich und eigenhändig erbrachte Leistung gekoppelt ist, sondern auch an die anderen Lebensbereiche: Körper, Beziehungen und Sinn. Warum sollte ich meinen persönlichen Erfolg nicht auch daran messen, ob es mir gelingt, gute Freunde zu haben, Kinder zu verantwortungsvollen Erwachsenen zu erziehen oder ein guter Handballspieler zu sein?
Es gibt Verhaltensstrategien, die die Entscheidungs- und Kommunikationsfähigkeit sowie das Durchsetzungsvermögen stärken. Solche Strategien kann ich z.B. im Coaching einüben.
1. Vorbild sein. (Wo bin ich dies für Andere? Wo kann ich es sein? Wen kann ich motivieren?)
2. Beziehungen aufbauen und pflegen. (Welche Beziehung nehme ich als unterstützend wahr? Welche kann ich verbessern?)
3. Grenzen anerkennen und setzen. (Wann habe ich das letzte Mal Nein gesagt – wann nicht, obwohl ich es wollte? Welche Situation bietet sich an, Abgrenzung zu üben?)
4. Besprechungskultur einführen. (Wie gehe ich mit Besprechungen oder Meetings um? Was ist mir zu viel? Wie kann ich die Kultur verbessern? Was kann mein Beitrag sein?)
5. Arbeit gerecht verteilen. (Wann hatte ich das Gefühl zu viel oder zu wenig zu tun zu haben? Wie gehe ich mit dieser Situation um? Wie kann ich meinen Kollegen unterstützen? Wie und wann kann ich um Unterstützung bitten?)
6. Mut zu Experimenten haben. (Wie oft probiere ich etwas aus? Wie geht es mir damit? Wann habe ich das letzte Mal etwas gewagt und war erfolgreich? Was kann ich noch verbessern – und habe es bisher nicht gewagt, es anzusprechen?)
7. Ergebnisse schaffen und Ziele erreichen. (Wie gehe ich mit Zielen um? Was für Arbeits- und Zeitmanagement-Techniken kenne ich? Welche wende ich an? Wofür brauche ich noch etwas? Wann neige ich zum Aufschieben von Tätigkeiten? Lebe ich eine Ergebniskultur oder eine Präsenzkultur? Wann kann mir ein Coaching oder eine kollegiale Unterstützung helfen?)
8. Die Kunst des Delegierens anwenden. (Wie wende ich die drei Schritte der Delegationsverantwortung an? Wieso behalte ich Arbeit bei mir, obwohl ich sie an andere delegieren könnte? Was hindert mich hier? Wie gehe ich mit Verantwortung um?)
9. Vielfalt fördern. (Wie gehe ich mit abweichenden Meinungen um? Wann sind scheinbare Umwege für mich sinnvoll? Wie informiere ich andere über mein Spezialwissen? Wann teile ich es, wann behalte ich es für mich? Was sind meine Gründe?)
10. Am Arbeitsplatz lachen. (Wann habe ich das letzte Mal bei der Arbeit gelacht? Was für eine Art von Humor habe ich? Wann setze ich ihn ein, um mich und Andere bei der Arbeit zu unterstützen?)
Übrigens:
Auch für Unternehmen gibt es viele Möglichkeiten, Beschäftigte zu unterstützen.
Einfache und erprobte Maßnahmen sind z.B. die Eingrenzung von Erreichbarkeit, indem klare Regeln für die Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit gesetzt werden. Anspruchsvoller ist der Umgang mit der Werteveränderung, die durch Bedürfnisse junger Berufseinsteiger, der „Generation Y“, ins Unternehmen kommen. Junge Väter wünschen sich mehr Zeit für ihre Kinder und junge Mütter wollen weiterhin berufstätig sein. Gleichzeitig gewinnt die Pflege älterer Familienangehöriger immer mehr an Bedeutung. Auch die Unterschiede in den Lebensphasen sind zu berücksichtigen. Die Hochschulabsolventin ohne Partner mag noch ganz in ihrem ersten beruflichen Einsatz aufgehen, während Mütter und Väter ab Mitte dreißig mit Sicherheit mehr persönliche Zeit und mehr Rücksichtnahme auf ihre familiäre Situation benötigen. Im mittleren Lebensabschnitt kann der „Arbeitseinsatz“ wieder höher werden, während für den Abschnitt zwischen 50 und 60 Jahren nochmals andere Modelle gefragt sein werden. Hier gilt es für Unternehmen, auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter einzugehen, vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten und individuelle Freiräume zu schaffen. Arbeitszeitmodelle und - autonomie können dies unterstützen.
Flexibilität und Vertrauen erleichtern den Umgang mit Zeitkonflikten. Gleitzeit und Arbeitszeitkonten, Teilzeit- bis Telearbeit oder Homeoffice sind dabei nicht nur Modelle für Beschäftigte mit Familie, sondern fördern die Lebensbalance, Motivation und Leistungsfähigkeit aller Mitarbeiter.
Weitere Stichworte, hinter denen sich großartige Konzepte verbergen sind Sabbaticals, Elternzeit, Familienpflegezeit. Gerade junge Mütter und Väter haben immer noch die Befürchtung, dass eine Auszeit für die Familie ihrer Karriere schadet.
Wichtig für eine ausgewogene Work-Life-Balance ist auch die Kernkompetenz des Selbstmanagements. Diese kann in Seminaren oder Workshops vermittelt werden.
Die Gesundheit und körperliche Fitness der Mitarbeiter sind zwei wichtige Ziele der betrieblichen Gesundheitsförderung und Prävention. Mit Sport- und Fitnessangeboten oder Gesundheitsworkshops, eine Kooperation mit einem Fitnessstudio, all dies sind Unterstützungsmöglichkeiten.
Führungskräfte sind selbst wichtige Vorbilder, wenn es darum geht, Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben vorzuleben. Sie sollten außerdem offen für die Lebensbalance ihrer Mitarbeiter sowie Anlaufstelle für mögliche Probleme sein. „Gesunde Führung“ kann in Schulungen, Workshops oder Seminaren für Führungskräfte thematisiert werden und durch den kollegialen und offenen Austausch untereinander und das Aufzeigen guter Beispiele und Praktiken gefördert werden.
Sprechen Menschen in Arbeits- und Handlungssystemen miteinander, weil sie gemeinsam arbeiten, oder arbeiten sie gemeinsam, weil sie miteinander sprechen wollen? - Jürgen Habermas
Und das Wichtigste, was ich einem Coachee mitgeben kann:
“Who you are, what you think, feel, and do, what you love
is the sum of what you focus on.” - Cal Newport (deep work)
WITH FOCUS ... COMES SUCCESS. (Miike Keppler)
(Autor Miike Keppler, 15.03.2018)
Donnerstag, 05. Oktober 2017
Achtsamkeit - Awareness
Immer und unablässig nehmen wir unsere Handlungen, Gedanken und Worte wahr - bevor, während und nachdem wir diese ausgeführt oder ausgedrückt haben.
- Serge Benhayon
Als mein erster Sohn etwa eine Woche alt war, hielt ich ihn – ich selbst lag mit angewinkelten Beinen auf dem Rücken – auf meinen Oberschenkeln, so dass er sich, wenn er wollte, mit seinen Beinen auf meinem Bauch abstützen konnte. Er sah mich aufmerksam an. Nicht nur aufmerksam. Er wirkte auf mich, wie ein alles aufnehmender, durchlässiger, völlig verständiger und weiser Mensch, der tiefes unendliches Vertrauen ausstrahlte. Nicht Vertrauen in mich oder ihn selbst, sondern Vertrauen in das ganze Sein. Das bewirkte bei mir eine große Ruhe, die mich veranlasste, mich zu öffnen und ihm von mir zu erzählen. Ich redete über mich, über die Welt, wie ich sie empfand und verstand und was ich glaubte, was er wissen sollte. Und das in einer rührenden Selbstverständlichkeit, wie ich sie selten in meinem Leben empfunden habe. Ich hatte das Gefühl, dass er mich uneingeschränkt verstand, nein – mehr noch – „wahr“nahm. Es war für mich ein einzigartiges Erlebnis von Einssein mit ihm, mit mir, mit Allem. Ich fühlte tiefen Frieden.
Als Kind haben und behalten wir für eine gewisse Zeit die Fähigkeit der Offenheit und des tiefen Vertrauens in die Richtigkeit unseres Seins, in das „Richtig“-Sein. Wenn wir beginnen zu erkennen, dass uns Andere anders haben wollen als wir sind, verändern wir uns und passen unser Selbstverständnis, unser Selbstkonzept in teilweise sehr schmerzhaften Prozessen den „äußeren“ Erwartungen an. Wir ziehen uns zurück. Diese Anpassungen wirken bis ins hohe Erwachsenenalter, bis wir sie bearbeiten und versuchen – häufig in ebenso schmerzhaften Prozessen – diese rückgängig zu machen.
Psychologen beschreiben den psychischen Zustand und damit das psychische Selbstbild des „Normalmenschen“ als illusionär. Im Regelfall bemerken wir gar nicht, dass wir nicht unabhängig handeln. Unsere Bewegungen, Handlungen, Wörter, Ideen, Emotionen, Stimmungen und Gedanken sind von außen beeinflusst, von anderen Menschen, unsrer Umgebung, sogar vom Wetter. Der menschliche Cortex beschäftigt sich aufgrund seiner hohen Binnenverdrahtung im Wesentlichen mit sich selbst (s. Roth/Grawe). Zwar dringen von außen Reize oder Informationen ein und Erregungen oder Emotionen verlassen das Gehirn, aber diese Effekte sind verschwindend klein gegenüber dem internen Geschehen. Durch das hohe Maß an Selbststeuerung baut sich der Cortex eine eigene Vorstellungswelt auf, die nur lose mit der Außenwelt zusammen hängt. Innerlich ist die Vorstellungswelt die einzig existierende für den „Denker“. Dies führt dazu, dass die inneren Vorgänge für die Wahrnehmung realer Dinge gehalten werden. Dank der unbewusst bleibenden Prozesse ist es eine Illusion, dass sich unser bewusstes Ich für den Autor unserer Gedanken, unserer Entscheidungen und unseres Bewusstseins hält.
Unter Achtsamkeit verstehen wir eine erhöhte, auch gezielt gelenkte, bewusst kontrollierte Aufmerksamkeit. Erweitert um Neugier, Wissensdrang, Offenheit, Aufgeschlossenheit und Wertfreiheit kann Achtsamkeit eine geistige Einstellung des breiten und gleichmütig-akzeptierenden Beachtens aller Phänomene und Ereignisse bewirken, die „im Geist“ oder "Bewusstsein", also in der Wahrnehmung oder Vorstellung auftauchen. Dies sind Gedanken wie Erinnerungen oder sonstige Vorstellungen sowie sämtliche Sinneswahrnehmungen aus der Umgebung und dem eigenen "Inneren" einschließlich aller emotionalen Erlebnisse.
„Wir nehmen den Gedanken die Kraft und geben sie ihnen wieder, indem wir uns neu ausrichten“.
Achtsamkeit bedeutet auch, dass wir unsere Wünsche und Handlungen im Kontext von SYSTEMEN verstehen – und schließlich in der Lage sind, diese Systeme zu verändern. Ein praktisches Beispiel: Wir werden nur vom Zu-Viel-Essen abkommen, wenn wir verstehen, was wir damit kompensieren. Wir werden nur aufhören, zu essen was uns nicht guttut, wenn wir unserem Geschmack wieder zum Kriterium machen. Wenn wir die Abhängigkeit und Gier wieder zum Genuss umformen.
Das Gleiche gilt für jedes andere „Phänomen“ wie Zeitmangel, Konflikte, Überarbeitung, Bewegungsmangel, Kommunikationsstörung, usw..
Achtsamkeit bedeutet, dass wir der komplexe(re)n Welt mit angemessenerer
DIFFERENZIERUNG begegnen. Dabei geht es um eine tiefere Ebene des Vertrauens: Die Welt in ihrer Wahrheit zu erkennen, heißt auch, ihren Selbstorganisationskräften zu vertrauen.
Achtsamkeit führt durch Übung zu erhöhter Wahrnehmungsbereitschaft und fördert eine schnelle, flexible und situativ angemessene und vor allem „gesunde“ Reaktion. Die Selbst- und Fremdwahrnehmung wird intensiviert, die persönliche Willensbildung gestärkt und die Selbststeuerung differenziert auf die Realität abgestimmt. Offenheit, Gegenwärtigkeit, Freude, Freiheit von Bewertung in der Betrachtung und Interpretation von Verhalten, Zulassen und Erkennen von Gefühlen geschieht durch Achtsamkeit. Dies ist eine Erfahrung, die wir alle zu jedem Zeitpunkt erleben können. Es ist das Bewusstsein über den Augenblick, das Bewusstsein über die eigenen, inneren Vorgänge und die Geschehnisse im Außen. Es bedeutet, all dies wohlwollend zu beobachten, ohne zu bewerten und ohne etwas verändern zu wollen.
Und wenn ich doch einmal bewerte, dann zu beobachten, dass ich bewerte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Es ist nicht einfach, jeden Moment in vollem Bewusstsein zu erleben. Meditation kann hier helfen. Wie jedes Training unterstützt sie mich dabei, einfacher, regelmäßiger, dauerhafter und intensiver achtsam zu sein. Hier bewirken Regelmäßigkeit und Geduld Veränderung, Entwicklung und Wachstum und helfen, den Alltag, mein Tun und meine Umgebung bewusster wahrzunehmen -und zu gestalten.
So wie Achtsamkeit in der Therapie Verbreitung und Anerkennung fand, wächst das Interesse und Verständnis für sie auch im Feld Coaching. Coach und Coachee dient Achtsamkeit zur Gestaltung und Entwicklung von Prozesskompetenz und Persönlichkeit.
Ellen Langers zahlreiche Experimente handeln von einer fundamental psychologischen Grundfrage: Wie formen Erwartungen, Konzeptionen, mentale „frames” unser Leben? Wie steuern Welt- und Selbst-Bilder unser Lebensglück?
Ein besonders passendes Experiment inszenierte Ellen Langer im Jahre 2007 mit Zimmermädchen in einem Hotel, denen sie erzählte, dass die Arbeit, die sie jeden Tag vollbrachten, in Wahrheit ein wertvoller Fitness-Sport sei, der sie fit und jung machen würde. Einer anderen Gruppe wurde die Aufopferung und Schwere ihrer Arbeit bewusstgemacht. Nach vier Wochen hatten die Teilnehmerinnen, deren Arbeit zum produktiven Sport erklärt worden war, mehrere Kilo abgenommen. Sie fühlten sich weit motivierter und positiver als die Kontrollgruppe, der es weiterhin schlecht oder schlechter ging.
Man könnte sagen, hier wird mit Motivationselementen gespielt, die man leicht für Ausbeutungszwecke oder einfach Manipulation missbrauchen kann.
Ebenso bekannt ist Ellen Langers „Counterclockwise”-Experiment. Sie lud gebrechliche 80jährige Männer aus Altersheimen in ein Schloss ein. Hier simulierte sie deren Jugendzeit simulierte mit der entsprechenden Musik, den Möbeln, dem Geruch der 50er Jahre. Innerhalb weniger Tage verjüngten die Alten ihren körperlichen und geistigen Zustand um bis zu 15 Jahre.
Es sind die unsere Annahmen, unsere Konzepte – und nicht die Erlebnisse oder „Wirklichkeiten” – die unsere Wahrnehmungen steuern. Diese Erkenntnis hat die Macht, unser Menschenbild zu verändern. Sie erklärt, warum viele Menschen von Ängsten, Ressentiments und Verschwörungstheorien getrieben werden. Warum wir an Problemen scheitern, obwohl die Lösungen auf der Hand liegen.
„Achtsamkeit ist die Erkenntnis, dass nichts so ist, wie es scheint, sondern immer so, wie wir es beschreiben” (M. Horx) Diese Botschaft macht uns auf neue Weise verantwortlich für unser Schicksal. Und frei für die Zukunft. Sie gibt uns unsere Verantwortung, aber auch unsere Wirkmächtigkeit zurück, die im rasenden Medienraum verlorengegangen ist.
Wenn der Coach sich mit dem Klienten auf einen Erkundungsgang durch dessen Alltag begibt mit all seinen Herausforderungen wie Stress, schmerzhafte Emotionen, körperliche Schmerzen und schwierige Kommunikationssituationen, dient ihm Achtsamkeit als Grundlage seiner inneren Haltung. Unvoreingenommen und wertfrei nimmt er die inneren Zustände, die Äußerungen des Coachee sowie seine Problemstellungen wahr. Die Qualität der Begegnung liegt im Fehlen der typischen Helferhaltung eines Lösungssuchenden. Durch die Akzeptanz des Klienten und seiner Zusammenhänge werden Schwierigkeiten und Problemstellungen von ihm aus der inneren Ruhe heraus als Zustand und nicht bewertend als Hindernisse wahrgenommen. Darüberhinaus erkennt der Coachee bewusst oder unbewusst diese Haltung der Akzeptanz, diese Nicht-Handlung als Erlaubnis und reagiert häufig mit zunehmender Entspannung. Er verliert seine Hektik, beruhigt und entspannt sich, lässt geschehen und öffnet damit seine ihn be- und einschränkende Sichtweise hin zu Möglichkeit und Lösung. Diese Optionen hatte er in seinem eingeengten Zustand gar nicht in den Blick nehmen können.
Durch unterstützende Fragen zu seiner inneren Befindlichkeit kann der Coach ihm helfen innezuhalten und zu reflektieren: Bin ich wirklich anwesend in meinem Leben? Wo stehe ich gerade? Wie kann ich meine Probleme nicht nur bewältigen, sondern in ihnen zugleich die Chance für mein inneres Wachstum erkennen?
So kann Achtsamkeit dem Coachee als Grundlage und Mittel dienen für ein gelingendes, ein achtsam und intensiv gelebtes Leben. So er im Coaching die Möglichkeit, sich in Beziehung zu einem anderen Menschen wahrhaftig zu verhalten und diese Beziehung auch so zu gestalten. Er wandelt seine Dissoziation zur Präsenz und zum Kontakt, entwickelt Intuition und Handlungsfähigkeit, wird „sich seiner Selbst bewusst“. So kann er selbstbewusst - im Sinne der Kongruenz, der inneren Stimmigkeit und Klarheit - im Außen agieren.
“Wenn wir innerlich blind sind, lassen wir zu, dass die Vergangenheit die Gegenwart
und die Zukunft dominiert.” (E. Langer) Achtsamkeit gibt uns, auf dem Höhepunkt des Lärms und der Angst, die Zukunft zurück.
(Autor Miike Keppler, 05.10.2017)
Auszugsweise erschienen in "Schatzsuche mit Begleitung: Ressourcen im Coaching kreieren"